E.R. Escales (Erster Hauptredakteur): Kunststoffe (München: J.F. Lehmann's Verlag & Hanser, 1911 - )
Erworben im Jahr 2020
Erworben im Jahr 2020
Im Rahmen einer Schenkung von Prof. Dr. Dietrich Braun, dem ehemaligen Direktor des Deutschen Kunststoff-Instituts (Darmstadt) gelangte die Eisenbibliothek zu unserer eigenen grossen Freude in den Besitz der frühesten Jahrgänge der Zeitschrift «Kunststoffe».
Erstmals im Jahr 1911 vom J.F. Lehmanns Verlag herausgegeben, ist diese deutschsprachige Zeitschrift die älteste kontinuierlich erscheinende Zeitschrift der Welt, die sich dem Thema Polymertechnologie widmet. Gegenwärtig erscheint sie im Carl Hanser Verlag. Der Chemiker Ernst Richard Escales (1863-1924) entwarf das Konzept der Zeitschrift. Die Autoren – wenn auch hauptsächlich deutscher Nationalität – waren von ihrer institutionellen Zugehörigkeit her äusserst international, mit Wirkungsorten in Grossbritannien, den Vereinigten Staaten, Polen und Österreich-Ungarn. Der Untertitel der frühesten Ausgaben definiert sie als eine «Zeitschrift für Erzeugung und Verwendung veredelter oder chemisch hergestellter Stoffe». Der Einfluss, der sich daraus ergab, war so gross, dass Kunststoffe in der deutschen Sprache nach dem Titel der Publikation immer noch als «Kunststoffe» bezeichnet werden.
Aufgrund der engen Verbindung, die die Autoren sowohl zu etablierten als auch zu aufstrebenden Industrien hatten, imitierte das Format der Publikation das anderer wissenschaftlicher Fachzeitschriften zu Themen mit industrieller Anwendung. Neben wissenschaftlichen Artikeln über die Chemie, Modifikation und Entwicklung neuer Polymerformen, finden sich Beschreibungen von Laborausrüstungen, Berichte über neue Rohstoffquellen oder effizientere industrielle Produktion aus der ganzen Welt sowie Anwendungen für Produkte in anderen Branchen. Der erste Artikel in der ersten Ausgabe von 1911 berichtet zum Beispiel über ein Verfahren zur Herstellung von Kunstleder. Die Kunststoffentwicklung und –industrie war unglaublich wettbewerbsintensiv. So erstaunt es nicht, dass der Vorstellung und Auflistung neuer Patente viel Platz reserviert ist – eine unschätzbare chronologische Ressource für Historiker der Polymertechnologie. Die historisch relevanten Artikel gehen jedoch weit über Materialgeschichte hinaus. Zum Beispiel enthält Ausgabe 2 von 1911 eine Reportage aus dem damaligen Niederländisch-Ostindien über die Beschaffung und Verarbeitung von Guttapercha, einem Naturlatex, der zur Beschichtung von Untersee-Telegrafenkabeln verwendet wurde. Mit seinen dokumentarischen Fotografien und Angaben zu den Welthandelsvolumen des Rohstoffs ist er eine wertvolle Quelle, auch für die globale Wirtschafts-, Kolonial- und Sozialgeschichte.
Von den ersten wissenschaftlichen Untersuchungen ihrer Eigenschaften im 18. Jahrhundert über das Experimentieren und die Synthese neuer Formen im 19. und 20. Jahrhundert bis hin zur Entwicklung der industrialisierten Massenproduktion haben sich Kunststoffe zu grundlegenden Werkstoffen moderner Technologien entwickelt. Die frühen Ausgaben der Zeitschrift «Kunststoffe» sind eine wichtige und wertvolle Ergänzung der Literatur über die Geschichte moderner Konstruktionswerkstoffe in der Eisenbibliothek.