Erzählzeit 2023
Trottel
Von der Prager Vorhölle, einer schicksalhaften Ohnmacht, einem Sprung und dem seltsamen Trost von Chicorée. Im Mittelpunkt: ein eigensinniger Erzähler, gebürtiger Tscheche und begnadeter Trottel, und ein Leben, in dem immer alles anders kam als gedacht. Ihren Anfang nimmt die Geschichte in Prag, nach dem sowjetischen Einmarsch 1968. Auf den Rat einer Tante hin studiert der Jungtrottel Informatik, hält aber nicht lange durch. Dafür macht er erste groteske Erfahrungen mit der Liebe. Nach einer denkwürdigen Begegnung mit der Teutonenhorde, emigriert er nach Ostberlin, taucht ein in die Undergroundszene vom Prenzlauer Berg, gründet eine Familie, wundert sich über die ideologisch morphinisierte DDR, die Wende und entdeckt schliesslich seine Leidenschaft für Rammstein.
Jan Faktor, 1951 in Prag geboren, 1978 Übersiedlung nach Ostberlin, war 1989/90 Mitbegründer der Zeitung des Neuen Forums. Sein Roman «Trottel» stand 2022 auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis.
«Trottel» von Jan Faktor
Die diesjährige Lesung im Rahmen des Literaturfestivals «Erzählzeit ohne Grenzen» fand in der stimmungsvollen Atmosphäre des Auditoriums im Klostergut Paradies statt. «Heute ist Weltliteratur zu Gast», so der Moderator des Abends, GF-Generalsekretär Roland Gröbli, als Jan Faktor aus seinem neuen Roman «Trottel» las. Die Lesung war die sechste im Klostergut seit der Gründung des grenzüberschreitenden Festivals im Jahr 2010, und rund 40 Gäste folgten der Einladung.
Bevor Jan Faktor aus dem Buch las, gab er einen kurzen Einblick in seinen beruflichen Werdegang als Schriftsteller. Spannend erklärte er, wie er sich nach jahrelangem Experimentieren für einen autobiografisch gefärbten Prosastil entschied, und wie die Figur des «Trottels» ihm die Freiheit gab, sowohl zu experimentieren wie auf alte Ideen zurückzugreifen. So konnte er Kapitel für Kapitel in einem Fluss schreiben.
Der «Trottel», der gleichnamige Protagonist des Buches, erzählte dann mit augenzwinkerndem Humor und scharfer Beobachtung vom Leben in Prag im Jahr 1968 bis zu den letzten Jahren der DDR in Ost-Berlin, und begeisterte damit das Publikum.
Unter der Moderation von Roland Gröbli folgte eine lebhafte Fragerunde. Dabei kamen sowohl die Gemeinsamkeiten, aber auch die grossen Unterschiede des (Er-)Lebens des Kalten Kriegs in der Schweiz und der DDR zur Sprache. Der Autor betonte sein Leitmotiv des Lachens im Angesicht des Absurden und Grotesken. Auch die wenig schmeichelhafte Namenswahl für die Hauptfigur wurde diskutiert, und Faktor wies auf die Schwierigkeit hin, den Titel ins Englische zu übersetzen – kein Wort habe die Nuancen, die «Trottel» im Deutschen ausmache. Das Interesse des Publikums setzte sich beim Apéro mit intensiven und fröhlichen Diskussionen fort – ein sicheres Zeichen für einen sehr gelungenen Abend.
Wir bedanken uns ganz herzlich bei Jan Faktor und Roland Gröbli für die unterhaltsame und lehrreiche Veranstaltung!