Wer diesen Sommer die Ausstellung «Reiseberichte eines Pioniers» zum 250. Geburtstag des GF-Gründers Johann Conrad Fischer besuchte, konnte diese Neuerwerbung in der Vitrine im Ernst-Müller-Zimmer der Eisenbibliothek im Detail betrachten. Das Buch ist ein kleiner, aber gewichtiger Wälzer und von besonderer Bedeutung für die Geschichte der angewandten Newtonschen Mechanik. Es ist einer der drei Titel in unserer Sammlung, die von Leonhard Euler stammen, dessen «Algebra» Johann Conrad Fischer 1794 auf seine Gesellenreise mitnahm.
Leonhard Euler ist einer der berühmtesten Mathematiker der Geschichte. Er wuchs in Basel auf und studierte an der dortigen Universität Mathematik. Als Zwanzigjähriger folgte er einem Ruf nach St. Petersburg an die Akademie der Wissenschaften, wo er Physik und Mathematik unterrichtete. 1741 nahm er ein Angebot Friedrichs II. von Preussen (1712–1786) an und wirkte die folgenden 25 Jahre als Direktor der mathematischen Klasse der Preussischen Akademie in Berlin. 1766 kehrte er nach St. Petersburg zurück. Euler sah die Welt um sich herum in Zahlen und deren Beziehungen, und seine Entdeckungen definierten die Terminologie und die Notation, die noch heute in der Mathematik verwendet werden. Im Laufe seines Lebens publizierte er auch über Technik, Physik, Astronomie, Optik und Musiktheorie.
Obwohl die «Neuen Grundsätze der Artillerie» als eines seiner einflussreichsten Bücher gilt, stammt nicht der gesamte Inhalt aus Eulers Feder. Das Werk entstand aus Eulers Übersetzung eines Buchs, das Benjamin Robins (1707–1751) 1742 erstmals auf Englisch veröffentlicht hatte. Robins' Buch «New Principles of Gunnery» enthielt eine völlig neue Sichtweise auf die Theorie und Praxis der Artillerie und wandte auf sie die Grundsätze der Newtonschen Mechanik an. Ziel war es, die Genauigkeit grosser Geschütze durch Überlegungen zur Geschwindigkeit, zum Luftwiderstand und zur Stärke des Schiesspulvers zu verbessern, wofür er ein spezielles Messgerät – ein ballistisches Pendel – entwickelte. Das Buch verfolgte auch ein wirtschaftliches Ziel. Durch die Optimierung der Artillerie konnten Ressourcen eingespart und die finanzielle Gesamtbelastung militärischer Operationen verringert werden.
Euler fertigte die Übersetzung für König Friedrich II. von Preussen an, der wegen seiner militärischen Erfolge als Friedrich der Grosse in die Geschichte einging. Das Exemplar der Eisenbibliothek stammt aus der Bibliothek eines Zeitgenossen Friedrichs des Grossen, einem anderen König Friedrich, nämlich Friedrich V. von Dänemark, wie der Stempel auf dem Titelblatt und das Supralibros auf dem Einband zeigen.
Eulers Buch übernahm die Ideen von Robins, erweiterte sie durch seine eigenen kritischen Beobachtungen, zu denen er weitere und verbesserte mathematische Theoreme hinzufügte, so dass die «Übersetzung» fast fünfmal so lang wie das Original wurde. Aus diesem Grund wird es häufiger als «Eulers erläuterte Artillerie» bezeichnet. Rückblickend ist es jedoch viel mehr als ein Buch über Artillerie. Die Überlegungen zur angewandten Newtonschen Mechanik und zu Faktoren wie dem Windwiderstand trugen zu den Grundlagen einer praktikablen Aerodynamik und der Mathematik bei, die bis heute in der Luft- und Raumfahrtindustrie angewendet werden. Auf diese Weise ist es nicht nur eine wichtige Ergänzung zu den bestehenden Beständen der Bibliothek über Artillerie, Testverfahren, Mathematik und Physik, sondern auch zur Geschichte der Luftfahrt.